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Mann und Frau - Himmel und Erde

"Aber warum diese Verzweiflung? Vielleicht, damit bei uns die Sehnsucht nach etwas anderem heranwächst. Nur aus dem Gegenüber, dem äußersten, erwächst das Gefühl vom Kommen eines Weges, das Bedürfnis, irgendwie näher zu kommen. Ich bin ganz weit entfernt und möchte gerne, dass eine Bewegung entsteht, dass es mir näherkommt, dass ich es erfahre, erlebe. 

Vielleicht ist das der Ausgangspunkt des Weges überhaupt, einer Beziehung. Darin steckt doch der Begriff des Ziehens. Im Hohelied, wo auch zwei sich suchen, sagst die Frau "Zieh mich hinter dir her". Was sie sucht, ist, könnte man sagen, ein Bezogensein. Mann und Frau im Hohelied sind auch Entsprechungen von Himmel und Erde. Zieh mich, sagt die Erde, meine Verzweiflung hier sagt: zieh mich.

Die Frau, würden wir sagen, bittet den Mann, dass er sie heranzieht. Aber ist der Mensch nicht als Mann und Frau in einem erschaffen? Ich such also den anderen Teil von mir selber. Und kommt es vielleicht deshalb zur Spaltung von Himmel und Erde, damit diese Freude des Einswerdens erlebt werden kann?"

Friedrich Weinreb - Gotteserfahrung S. 14